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Die Easyjet-Maschine setzt pünktlich ab und ich schlafe sofort ein – habe ja Ferien dringend nötig – und erwache erst beim Landeanflug auf Ajaccio. Offenbar hat man die Alpen und die Mittelmeerküste sehr schön gesehen: Tant pis pour moi.
 

Am Flughafen Ajaccio nehmen wir unsere zwei Mietautos, die uns fortan über die Insel führen werden, im Empfang: ein dunkelgrauer Renault 9-Plätzer mit unzähligen Kratzern und Beulen – von Rafaela liebevoll «üsser Tutschi-Auto» genannt – und der schicke Peugeot Hybrid, mit Hightech-Cockpit und noch ganz ohne Gebrauchsspuren, den ein Mitwanderer fahren wird. Beide fahren sehr gut und sicher, was dann beim Monte Incudine (siehe unten) sehr notwendig sein wird.
 

Aufgrund meiner langen Beine wird mir der Frontplatz im Renault 9-Plätzer zugewiesen. Eine Ehre, die ich während der ganzen Reise geniessen darf. Nur einmal gebe ich Rafaela einen gutgemeinten Autofahrtipp, was mir fast den Frontplatz kostet :-). Danach konzentriere ich mich beim Fahren auf die Geografie, Natur, Tiere am Strassenrand und Demografie der Dörfer.

Besondere Aufmerksamkeit gilt bereits am ersten Tag, unterwegs nach Porto, der korsischen Strassenführung. In unzähligen Kurven winden sich die Strassen über die Berge und Pässe, wie eine meterlange Schlange durchs Gebüsch. Für die Schweizer Ingenieure wäre dies ein Traumland: sie könnten unzählige nötige oder unnötige Tunnels bauen, hohe Viadukte über Schluchten spannen oder Galerien gegen Steinschlag errichten.

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - Golf von Porto
Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - Traumstart bei bestem Wetter

Die Region von Porto
So treffen wir also am Samstagabend in Porto ein und beziehen unsere Zimmer. Nachts hört man im Dickicht eine Zwergohreule. Der Ruf dieses Nachtvogels begleitet uns durch die ganze Woche. Für mich ein wunderbarer Teil der Ferienidylle.

«Einwandern» mit einer leichten Einsteigerwanderung ist offenbar nicht im Plan vorgesehen, und es geht schon am Sonntag mit einer 7-stündigen Bergwanderung auf den Capu d'Orto (1294m) los. Jammern nützt nichts, sondern man weist mich darauf hin, dass die Reise ja mit «langen Wanderungen» ausgeschrieben worden sei :-) .

Unterwegs gibt es eine Geologie-Lektion zu «Tafoni» oder Kernverwitterung. Das sind ausgehöhlte oder durchlöcherte Felsen, die von innen nach aussen verwittern. Daraus entstehen interessante Steinformationen, die wir unterschiedlich als Nashorn, Elefant, Hund oder Eule interpretieren.

Auf dem Gipfel geniessen wir eine herrliche Rundsicht und unser Picknick mit frischem Brot aus der örtlichen Bäckerei – ein Luxus, für den Rafaela jeden Tag sorgt. Ein feines Fischessen am Strand rundet den Tag wunderbar ab.

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - beeindruckende Aussichten
Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - unterwegs auf anspruchsvollen Wanderungen

Unterwegs im Hirtenland
Am Montag fahren wir Richtung Calacuccia. Auf dem Pass Col de Vergio machen wir eine Rundwanderung zu einem Wasserfall. Mir gefallen vor allem die hohen schlanken Schwarzkiefer, die ganze Wälder bilden und, obwohl sie nicht duften, scheinen sie die Luft zu filtern und zart zu machen.
 

Am Dienstag ist wieder ein 7-Stünder zum Lac di Nino in der gleichnamigen Hochebene auf 1740m angesagt. Der Weg führt teilweise entlang des Fernwanderwegs GR20 und wir staunen über die Grösse der Rücksäcke, die uns entgegenkommen.
 

Das Tal und die Hochebene von Calacuccia ist Hirtenland. Wir sehen viele Ziegen, Schafe, Kühe und Kälber; alle deutlich kleiner und dünner als ihre Artgenossinnen in der Schweiz. Die Milch dieser Tiere wird zu feinem Käse, zum Teil mit starken Aromen, verarbeitet. In Calacuccia wird uns auch die Spezialität Cannelloni au Brocciu​​ (mit korsischem Frischkäse und Minze) vorgestellt. Im Hotel serviert Gastgeberin Stella noch ein Absackerli. Müde lege ich mich ins Bett und auch hier ruft die treue Zwergohreule und lullt mich in den Schlaf.

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - wilde Pferde auf der Nino-Ebene
Zoom: Korsika Wanderreise 2025 - Lac de Nino

Am nächsten Tag kommen die hitzeliebenden Wanderer voll auf ihre Rechnung. Auf der Sonnenseite des Tal steil hinauf, über den alten Sentier de la Transhumance, durch weisse Zistrosen, und … endlich zum Schatten alter Kastanienplantagen. Die Bäume sind inzwischen verwildert, alt und krank. Aber früher war ihr Mehl ein Grundnahrungsmittel für die Bergbevölkerung.

Am Nachmittag besuchen wir Corte. Tief im Landesinneren und unerreichbar für die seefahrenden Genueser, war Corte zur Zeit der Unabhängigkeit die Hauptstadt Korsikas. Pasquale Paoli (1725-1807) hatte die Stadt zu einigem Wohlstand und Renommée gebracht und sogar eine Universität gegründet. Aber als die Franzosen einmarschierten, wählte er das Exil und kehrte nicht wieder zurück.

Nach Corte, in Meeresnähe, begegnet uns dann ein Verkehrswunder: ein Strassentunnel von ca. 40 Metern Länge! (Es bleibt übrigens bis Ende der Ferien der einzige Tunnel.) Danach verlassen wir die Ebene, und es geht via unzählige Kurven über sieben Berge zu Schneewittchen ins Hotel nach Zonza. Die Zwergohreule erwähne ich nicht mehr, aber sie ist natürlich wieder vor dem Fenster – wie bestellt.

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - kurze Wanderpause
Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - alte Zeitzeugen

Zonza und Umgebung
Am Donnerstag ist der dritte und letzte 7-Stünder angesagt, doch ich lasse mich von solchen Ankündigungen nicht mehr beeindrucken: komme was wolle, ich schaffe es! Ziel ist der Monte Incudine, mit 2136m der höchste Berg im Süden Korsikas. Um diesen zu besteigen, müssen wir mit den Autos auf einen Parkplatz auf einer Hochebene fahren. Die 40minütige Fahrt dauert allerdings wegen der schlechten Strasse deutlich länger. Der Asphalt ist vielerorts aufgerissen und der darunterliegende Schotter weggespült, sodass unsere Fahrer ihre Fahrkünste aufs Höchste beweisen müssen. Am Abend meint Rafaela «nie wieder»!
 

Bemerkenswert ist allerdings das Panorama vom Gipfel des Monte Incudine: im Osten und Westen das weite Meer, im Norden das verschneite Hochgebirge von Korsika und im Süden, an den Bavella-Felstürmen vorbei, ganz in der Ferne die Landmasse von Sardinien.
 

Für den Schluss (Freitag) bleibt uns noch eine mittellange Wanderung, ausgehend vom Bavella-Pass (1218m). Auch heute teilen wir uns den Weg wieder mit den – inzwischen müden – GR20-ern. Für sie ist es die letzte Tagesetappe mit Ende in Conca. Einige Gestalten kennen wir bereits vom Monte Incudine und man grüsst sich wie alte Freunde.

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - Mare e Monti
Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - was für wunderbare Ausblicke

Auch der Naturkundeunterricht kommt an diesem Tag nicht zu kurz. Wir erfahren, wie der Schwarzspecht Löcher in tote Bäume schlägt, um mit seiner langen Zunge an Ameisenlarven zu kommen. Doch noch viel eindrücklicher sind die Pillendreher, die aus Dung perfekte Kugel formen und diese dann über weite Strecken rollen, anschliessend vergraben und ihre Eier darin legen. Wir beobachten zwei Käfer, die mit dem Rollen einer Kotkugel intensiv beschäftigt sind. Die Larven fressen sich später durch den nährstoffreichen Dung ans Licht. Geht es nicht einfacher, fragt man sich? – und schüttelt den Kopf über den Einfallsreichtum der Tierwelt.

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - Pillendreher
Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - Eidechsen werden immer wieder gesichtet

Trotz der (relativen) Kürze hat es diese letzte Wanderung in sich, denn es sind zwei steile Auf- und Abstiege. Noch selten hat der Schweiss so getrieft wie am Nachmittag auf dem Col de Bavella. Entsprechend freuen wir uns auf das kühle Getränk bzw. Bier, das uns nach jeder Wanderung entgegenwinkt. Erst beim Ausziehen der Wanderschuhe sehe ich am rechten Fuss den blutigen grossen Zeh mit kaputtem Zehennagel. Die langen Wanderungen haben also doch ihr Opfer gefordert.

Den Schlussabend verbringen wir wieder im Auberge du Sanglier, wo man wieder die Qual der Wahl hat zwischen Forelle, Wildschwein, Canelloni oder Lammgigot. Aber inzwischen hat jede oder jeder sein korsisches Lieblingsmenü gefunden und die Bestellung geht flott. Auch der Wein fliesst grosszügiger an diesem Abend, und das Haus spendiert einen Myrthen-Schnaps zum Abschluss. Wer Glück hat, hat bereits gepackt und kann direkt ins Bett fallen. Ich verabschiede mich von der treuen Zwergohreule und schlafe sanft ein.

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - Auberge de Sanglier
Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - Korsische Biere

Am Abreisetag läuft alles wie am Schnürchen. Auf der Autofahrt beschäftige ich mich mit demografischen Studien. Wie sehen die Dörfer aus, und wer wohnt in diesen bergigen Regionen? Die Hälfte der Bevölkerung wohnt in Bastia oder Ajaccio, aber der Rest ist irgendwo über die Insel verteilt. Die Landmasse beträgt mit 8’722 km2 nur ein Fünftel der Fläche der Schweiz. Die Bevölkerung kommt mit 355'500 Personen auf nur 4% der Schweizer Bevölkerung. Aber mehr als diese Zahl konnte dieses ressourcenarme, bergige Land wohl auch nie ernähren.
 

Die Dörfer in den Bergen hängen teilweise wie Schwalbennester an den Hügeln. Die Strassen führen mitten durchs Dorf. Wenn man Glück hat, hat es eine Bar und einen Proxi (Lebensmittelgeschäft). Überrascht bin ich, dass es in jedem Dorf eine gelbe Post hat. In dieser Beziehung funktioniert der service public besser als in der Schweiz. Meine in Porto eingeworfenen Postkarte sind auch vor mir zuhause in der Schweiz angekommen. Dafür sehen wir auf der ganzen Reise zwar manche Bushaltestellen aber keinen einzigen öffentlichen Bus.
 

Nach dem wiederum superpünktlichen Rückflug verabschieden wir uns in Basel und verteilen uns auf die verschiedenen Bahngleise in Basel SBB. Ich geniesse die Fahrt durch den Hauenstein – endlich wieder Tunnelfahren – und suche auf den letzten Kilometern noch verzweifelt den Hausschlüssel im Gepäck. Ja, es waren tolle Ferien. Die Gruppe war von der Grösse und Zusammensetzung her äusserst angenehm, die Reiseleitung stets gut vorbereitet, professionell und rücksichtsvoll, das Wetter beispielhaft gut (kein einziger Tropfen Regen) und die Hotels und Restaurants gut bis sehr gut. Alles super! Nur die Freizeit kam etwas zu kurz: der Krimi kam unfertiggelesen zurück, und das Reservebuch für Regenwettertage blieb ganz ungeöffnet. Aber so soll es auch sein: lesen kann man auch wieder zuhause, und am Sonntag blitzt und donnert es und schüttet wie aus Kübeln.

Alice K., Reise-Teilnehmerin Mai 2025

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - vom Winde geprägt
Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - eine eindrückliche Reise auf einer einzigartigen Insel

Wanderreise Korsika 2025 - wilde Pferde auf der Nino-Ebene

Zoom: Wanderreise Korsika 2025 - wilde Pferde auf der Nino-Ebene